Aufrufe
vor 3 Jahren

PINwand Nr. 314

  • Text
  • Weinfachhandel
  • Weinhandel
  • Verkostung
  • Winetasting
  • Wine
  • Weine
  • Wein
Weinmagazin Pinard de Picard - Ausgabe September - Erlesene Weine, Feinkost und Spirituosen - Weinfachhandel und Weinversender

ITALIEN TOSKANA

ITALIEN TOSKANA Boscarelli © Bruno Bruchi „IL NOCIO” VINO NOBILE DI MONTEPULCIANO 2016 Boscarellis „Il Nocio“ 2016 toppt den schon grandiosen Vorgängerjahrgang. TO110716 „Il Nocio” V. N. di M. DOCG rosso 2016 14,5% Vol. 86,66 €/l 65,00 € Höchste Wertung: 18 Punkte in VINUM-Top of Toskana 2020 und damit Platz 1 Montepulciano Boscarellis „Vino Nobile“ aus der Einzellage Vigna del Nocio hat sich seit der Übernahme des Weinbergs im Jahr 1988 an der Spitze der Appellation etabliert. Der reinsortige Prugnolo Gentile, wie die Variante des Sangiovese in Montepulciano genannt wird, hat als 2015er Jahrgang nicht nur den 1. Platz beim großen Vino-Nobile-Tasting der „Vinum“ gewonnen, er wurde auch der bei „Robert Parker“ bisher am höchsten bewertete „Vino Nobile“ überhaupt. Man kann wohl ganz klar sagen, dass dieser Wein und seine Erzeuger, die Marchesi de Ferrari Corradi, genau das eingeläutet haben, was Andreas März in der „Merum“ als „die Renaissance des Vino Nobile“ bezeichnet hat. Was macht den „Il Nocio“ zu diesem besonderen Wein? Es ist – wie bei allen großen Weinen – ganz eindeutig die Lage, in der in guten Jahren einfach alles zusammenspielt. 2016 war ein solches Jahr, in dem die Trauben eine sehr lange Reifezeit hatten, die physiologische Reife und die optimalen Zuckerwerte fast am selben Tag erreicht wurden und das Wetter so gemäßigt war, dass die Reben keinerlei Trockenstress ausgesetzt waren. Die Lage Vigna del Nocio liegt auf 280 bis 350 Metern in nordöstlicher Ausrichtung, was für die Qualität – gerade in Bezug auf den Klimawandel – entscheidend ist und immer wichtiger wird. Es ist eine vergleichsweise kühle Lage mit 1991 gepflanzten Reben von alten Klon-Selektionen, die eine gute Mischung an Genetik in den Weinberg gebracht haben. Hinzu kommt der einzigartige Boden, der eine Mischung aus Schwemmland mit eisenhaltigem roten Kalkmergel, Lehm und Sand aufweist. Auch wenn der Weinberg rund vier Hektar groß ist, entstehen trotzdem nie mehr als nur etwa 5.000 Flaschen. Die Trauben für den „Il Nocio“ wurden manuell gelesen, der Prugnolo Gentile entrappt und gerebelt. Der Wein wurde in Eichenfässern vergoren, die zu höchstens zwei Dritteln ihres Fassungsvermögens gefüllt wurden. Für den Gärungsprozess, der etwa eine Woche dauerte und spontan eingeleitet wurde, wurde heimische Hefe bei kontrollierten Temperaturen von 27 bis 31 °C verwendet. Der „Il Nocio“ wurde über 18 bis 24 68 PINwand314 | September 2020

Boscarelli TOSKANA ITALIEN Monate hinweg in Tonneaux und Fudern von 5 hl bis 10 hl aus französischer und slawonischer Eiche ausgebaut und durfte mindestens zwölf weitere Monate auf der Flasche reifen. Nachdem die Marchesi de Ferrari Corradi mit dem 2015er Jahrgang so etwas wie einen „Premier Cru“ aus dem benachbarten Weinberg Vigna Grande veröffentlicht hatten, muss sich der „Il Nocio“ nun alljährlich dem hausinternen Konkurrenten stellen. Und bei aller Klasse, die der „Costa Grande“ besitzt – es ist ein umwerfend charmanter Wein –, zeigt „Il Nocio“ wahre Grand-Cru-Qualitäten. Der tief kirschrote Wein, der an den Rändern schon einen ganz leichten roten Ziegelton annimmt, was völlig typisch ist für die Rebsorte beim Ausbau in größeren Gebinden, zeigt von Beginn an die ganze Noblesse, zu der die Rebsorte Prugnolo Gentile in der Lage sein kann. Der Auftakt ist gar nicht einmal so unähnlich mit Noten von Schattenmorellen, Zwetschgen und dunklen Himbeeren. Doch es kommen noch rote Johannisbeeren hinzu und vor allem Noten von Rosenblättern und Veilchen, Eisenkraut und Kampfer. Dazu gibt es ein paar süße Nuancen von reifen Früchten, Süßholz und warmer Schokolade, dann aber wiederum frische Noten von Blutorangen und Stein. Am Gaumen wird es noch komplexer mit balsamischen Noten, mehr Erde, mehr Eisen, etwas Leder und Tabak, Malz und Schokolade. Doch auch hier ist die Frische präsent, ferner das fast Kristalline, Lebendige und Klare in der Struktur. Der „Vino Nobile“ besitzt beeindruckend viel Kraft, und doch steckt diese gleichsam in einem Anzug aus der Manufaktur von Ermenegildo Zegna. Da gibt es kein gewolltes Ausbeulen, keine Falte, wo sie nicht hingehört. Das ist Maßarbeit, der Wein ist äußerst delikat, das Tannin schmilzt nur so dahin, und die Frucht liegt zwischen süßer Reife und knackiger Frische. Das macht schon jetzt Freude, vor allem wenn man dekantiert. Es ist allerdings ganz sicher ein Wein für Jahrzehnte. Das ideale Trinkfenster für diesen Wein dürfte bei 2023 bis 2050 liegen. FAMILIAE „OCCHIO DI PERNICE” VIN SANTO DI MONTEPULCIANO 2010 Was für ein seltenes Vergnügen: Vin Santo aus Sangiovese ITO110810H „Familiae” Vinsanto DOC O. di P. 2010 (0,375l) 12,5% Vol. 88,00 €/l 33,00 € Zu den großen Klassikern der Toskana gehört der „Vin Santo“. Der „Heilige Wein“ hat tatsächlich eine Geschichte, die eng mit der katholischen Kirche verbunden ist. Er wurde früher zwischen der Adventszeit und der Karwoche gekeltert. Außerdem diente er oft als Messwein. Der „Vin Santo“ ist ein sogenannter „Passito“, für den reife Beeren Verwendung finden, die vor dem Pressen über mehrere Wochen hinweg auf Strohmatten getrocknet wurden. So entsteht eine bemerkenswerte Konzentration an Süße und Frucht. Bei Boscarelli wird der Saft dieser Beeren dann spontan zusammen mit ein wenig „Madre del Vin Santo“ vergoren. Dies sind die Heferückstände des Vorgängerweins, also so etwas wie „Livieto Madre“, die Mutterhefe beim Sauerteig. Der vergorene Wein wird dann in kleine Caratelli gegeben – Fässer von 20 bis 50 Litern aus unterschiedlichen Holzarten –, die dann zur weiteren Reifung auf dem Dachboden des Weinguts gelagert werden und dort nicht nur den unterschiedlichen Temperaturen der Jahreszeiten ausgesetzt sind, sondern meist auch noch eine zweite Gärung durchlaufen. Bei Boscarelli werden diese Fässer zum ersten Mal nach vier bis fünf Jahren wieder geöffnet. Der typische „Vin Santo“ ist einer aus weißen Rebsorten wie Malvasia Bianca Lunga, Greccheto di Orvieto und bzw. oder Trebbiano Toscano. So ist es meist auch bei Boscarelli. Doch in 2010 haben die Marchesi di Ferrari Corradi nach 2009 erneut einen „Occhio di Pernice“ vinifiziert – einen „Vin Santo“, der ausschließlich aus roten Trauben, also im Wesentlichen aus Prugnolo Gentile entstanden ist. „Occhio di Pernice“ heißt so viel wie „Auge des Rebhuhns“ und ist bei Weinen aus der Champagne oder der Schweiz als „Œil de Perdrix“ bekannt. Es bezeichnet den besonderen roséfarbenen Ton des Weins. Der Wein, dessen Farbe irgendwo zwischen einem tiefdunklen Orange und Bernstein angesiedelt ist und dessen ölige Konsistenz an Farben alter Kirchenfenster erinnert, duftet intensiv, ja geradezu opulent nach süßem „Plum Cake“-Pfeifentabak, nach Datteln und Feigen, nach Saftaprikosen und kandiertem Ingwer, nach Orangeade, Walnüssen und arabischen Gewürzen. Am Gaumen zeigt der Wein seine ganze Süße und Cremigkeit voller kandierter Früchte, Nüsse und Gewürze, die durchzogen werden von einer lebendigen Säure. Hach, das macht Spaß, wenn man sich diesem Wein in einem Moment der Ruhe und Gelassenheit hingibt, am besten zusammen mit dem typischen Mandelbrot oder den Mandelplätzchen der Region. Süßweine wie dieser machen sowohl in ihrer Jugend als auch im Alter Spaß. Sie sind heute zu trinken und sicher ebenso in 10 bis 15 oder mehr Jahren. 69

1997-2024 Pinard de Picard GmbH & Co. KG, Saarwellingen, Germany. ALL RIGHTS RESERVED.